Das Geschenk des Garwydd
Die Ebenen des Nordens erstrahlten in der vollen Pracht des jungen Sommers,
beständig erfrischt von einem Wind, der einen Hauch des Endlosen Meeres
in die Berge trug. Fette Äcker reihten sich einer an den anderen,
sattgrüne Wälder begrenzten die Felder, das Vieh schien nach
dem Bratspieß zu schreien, und das Land lag träumend, als hätte
es schon lange keinen Krieg mehr gesehen.
Donnernd durchmaßen zwei Dutzend Ritter die Fruchtbarkeit; die
Langeweile des stets endlos geraden Horizonts zwang sie immer wieder in
den Galopp, wollten sie nicht einschlafen, warm umschmeichelt von der Brise,
eingelullt vom Zirpen der Heuschrecken.
"Glückliche Menschen, diese Bolghinn!" brüllte einer über
den Lärm der Hufe hinweg.
"Was meint Ihr, Hentze?" Der Frager schien nicht zugehört zu haben.
"Alles so satt hier, Calan!" Der schon ergraute Mann ritt in den Bügeln
stehend, seiner Leibesfülle zum Trotz.
"Ja, Hentze, sicher!" Starkhand von Calan gab seinem Roß die
Sporen und jagte voraus. So weit weg war er mit seinen Gedanken, daß
er mit niemandem reden wollte.
"Ihr, Cwmachdod, werdet also angewiesen, Euch bis zum Schlangenmond
diesen Jahres in Dhanndhcaer einzufinden, damit Ihr vor den Garwydd treten
könnt. Aufschub wird in dieser Angelegenheit nicht gewährt."
Übermittelt vom Hof in Dhanndhcaer, vorgetragen von einem Druiden,
den Starkhand nie gesehen hatte, unter Nennung von Titeln, die die Nachfolge
des Dhanndh beanspruchten. Ein Befehl des Herrschers, den er in Frieden
nicht verweigern konnte.
Bereits im Einhornmond war er aufgebrochen, jetzt ging Kentaur, Maien
also, zu Ende. Dhanndhcaer lag zwei Tagesritte vor ihnen. Die Länge
der Reise erklärte sich durch viele Besuche, die Starkhand unterwegs
machte: um den Grenzburgen am Frühlingspfad persönlich seine
Befehle darzulegen für den Fall, daß des Herrschers Ruf etwas
mit der Rückkehr der Samburer zu tun hatte, der Halt in Indarn, um
Güter zu bestellen, die den vielleicht bald Belagerten sonst fehlen
würden, verschiedene erfolglose Abstecher, um Vertraute von Righ Albatanor
zu sprechen, vergeblich, die zwei Nächte und einen Tag, die er allein
in Caswallon verbrachte, ohne daß er irgendjemandem den Grund verriet,
der Schwenk nach Est auf Kerrburg zu, wo er etwas hinterlegte, und dann
der lange Ritt links des Kerri auf Dhanndhcaer zu, Tandor passierend, wo
der Gestank des Elends verflogen war, seitdem die unzähligen Flüchtlinge
den Rückweg nach Sambur angetreten hatten.
Dhanndhcaer, schwarzes Loch, vor langer Zeit Quell des Schreckens,
nun ein Hort des Lichts, wie es hieß. Zwei Dutzend Ritter donnerten
dahin, einem ungewissen Schicksal entgegen.
Den letzten Ritt unternahmen sie gerüstet und in vollen Farben:
das Grün und Silber von Calan flatterte an den Lanzen, prangte auf
den Schilden und zierte die Waffenröcke; die braunen Streitrösser
mit den gelben Mähnen und Schweifen - groß gezüchtete Abkömmlinge
der genügsamen Pferde des Gebirges - trugen ebenso gemusterte Decken.
Je näher sie der Stadt kamen, desto öfter begegneten sie
Menschen auf der staubigen Straße, Bauern und Händlern vor allem,
die eilig den Weg freimachten, als die eisenstarrende Schar vorüberritt.
Dann lag sie vor ihnen: Dhanndhcaer, siegreiche Rivalin Tandors, Sitz des
thuathischen Hochkönigs, der seine Krone niedergelegt hatte, nun die
Festung des Siber Lobar, des Garwydd, Erbe der Macht.
Sich berufend auf Botschaft des Herrschers gewährte man ihnen
unbehelligten Eintritt, langsam trabend durchquerten sie die von geschäftigem
Leben erfüllte Stadt, bis sie schließlich die schwarzen Mauern
des Palastes erreichten.
"Einlaß begehrt Cwmachdod ra Mortael, Eroth vom Frühlingspfad,
Herr von Himmelswehr, auf Wunsch des Garwydd erschienen in Dhanndhcaer."
Die Torwachen gaben den Weg frei.
Starkhand und die Seinen wurden willkommen geheißen. Die Ritter
wurden bewirtet, die Pferde getränkt, doch es dauerte eine Weile,
bis ein Höfling erschien, der Starkhand beschied, wann der Herrscher
ihn empfangen würde:
"Der Garwydd bedauert, Eroth, doch es sind der Geschäfte viele
zur Zeit. Ich darf Eurem Gefolge eine Unterkunft anweisen und Euch, Eroth,
angemessene Gemächer anbieten, so Ihr nicht anderweitig vorgesorgt
habt. Ihr werdet umgehend vorgelassen, sobald die wichtigen Angelegenheiten
den Garwydd nicht mehr bedrängen."
Starkhand bemühte sich, nicht zu fluchen ob dieser Zurücksetzung,
und fügte sich. Er fluchte später noch, als sich herausstellte,
daß die versprochene Unterkunft außerhalb der Stadtmauern lag.
Also schickte er den berittenen Troß mit allen Pferden dorthin und
behielt nur vier Ritter und den Schwertmeister Hentze bei sich, um seinen
Freund Thile Molsberg aufzusuchen, einen calanischen Gelehrten, der ständig
in Dhanndhcaer lebte und ihn aufnehmen würde - vor Wochen schon hatte
Starkhand ihn benachrichtigt, denn was immer auch geschehen würde,
in den Mauern eines Königspalastes wollte er sich nicht sicher fühlen.
Starkhand wartete sechs Tage lang. Hentze Blader zu Loon, Schwertmeister
von Calan und Starkhands Freund, mochte schon gar nicht mehr in seiner
Nähe weilen, so unleidlich wurde der Ritter mit dem kurzgeschorenen
Haupthaar. Und Molsberg wußte bald nichts mehr zu berichten, so gründlich
horchte Starkhand ihn aus über die Verhältnisse in Dhanndhcaer.
Nächtens verließ Starkhand darum das Haus, um sich selbst umzuhören,
was die Gemeinen in den Schänken so redeten.
Am Morgen des siebten Tages traf dann endlich ein Bote des Hofes ein,
damit Starkhand vor dem Garwydd erscheine. Der Bote jedoch kam so zeitig,
daß nicht einmal ein Frühstück eingenommen werden konnte.
Und so gingen Starkhand, Hentze und die vier Ritter hungrig zum Palast,
grimmigen Herzens und mürrischen Blicks.
Der Empfang war kühl. Derselbe Höfling, den sie bei ihrer
ersten Ankunft angetroffen hatten, bot an, daß Starkhands Begleiter
die Küche aufsuchen sollten, wenn sie ein Frühstück wünschten
- als seien sie Diener, denen eine Gnade erwiesen wird. Starkhand hingegen
wurde angewiesen, allein vor den Garwydd zu treten, waffenlos, worauf er
selbst einen kleinen Dolch ablegen mußte.
Es war ein langer Weg durch Gänge, die selbst im Sommer kalt blieben,
über einen Hof und noch einen, dann endlose Treppen hinauf bis zu
einem Raum, der außer einigen jetzt leeren Fackelhaltern an den Wänden
keine Einrichtung enthielt. Nur das spärliche Licht des frühen
Morgens stahl sich über Dächer hinweg hinein und erhellte die
Trostlosigkeit. Wieder hieß der Höfling ihn warten und verschwand.
Starkhand spuckte auf den Boden.
"Eroth. Der Garwydd erwartet Euch."
Starkhand wandte sich um. Hinter ihm war eine Flügeltür geöffnet
worden. Der Höfling trat beiseite und lud ihn mit einem Wink ein,
den Thronsaal zu betreten.
Das Morgenlicht umfing ihn. Ungehindert strömte es durch hohe
Fenster ins Innere des weiten Saales, die Strahlen deutlich sichtbar, wie
sie sich im schwebenden Rauch einiger Kerzen und Fackeln abzeichneten,
die um den erhöhten Thron herum angeordnet waren.
In dem Licht bemerkte er, daß ringsherum gearbeitet wurde: zwar
sah er im Augenblick keine Handwerker, doch ihre Gerätschäften
und Gerüste, Holzstapel, Steinhaufen und Abfälle türmten
sich entlang der Wände. Nur an der Stirnseite herrschte Ordnung, bekleideten
bunte Teppiche die ehemals drohend schwarzen Mauern hinter dem Purpurthron.
Da saß der Garwydd Siber Lobar und musterte ihn, der Erste der
Druiden, eine wenig furchteinflößende Gestalt, gekleidet in
eine Kutte, die ihm viel zu groß schien. So traf Starkhand zum ersten
Mal auf den, der Righ von Tir Krye gewesen war, der den Kampf gegen die
Dannanain verloren und die Herrschaft über ein Reich gewonnen hatte,
der vor allen Fragen geflohen war und nun hier saß, mit aller Macht,
die das mit sich brachte.
Hinter dem viel zu großen Thron standen zwei Wachen, die ins
Leere blickten, zu beiden Seiten zwei Druiden, ein alter und ein jüngerer.
Wenige Schritte vor dem Thron bemerkte Starkhand eine kleine eisenbeschlagene
Truhe auf dem steinernen Boden.
Er blieb davor stehen. Der Höfling, der ihm gefolgt war, kündigte
ihn an:
"Garwydd, ich bringe Euch wie befohlen den Eroth vom Pfad des Frühlings,
Cwmachdod, der sich ra Mortael nennt und Herr von Himmelswehr."
Der Herrscher machte eine Geste mit der Rechten in Starkhands Richtung,
zu Boden weisend. Starkhand verharrte still.
"Die Ehrbezeigung!" zischte der Höfling flüsternd.
"Er ist nicht der Dhanndh", preßte Starkhand zwischen den Zähnen
hervor.
Als der Höfling erneut auf dem Kniefall bestehen wollte, hob der
Garwydd die Hand.
"Laß gut sein." Er rückte sich ein wenig zurecht, verschränkte
die Hände und beugte sich nach vorne, lächelnd. "Nicht der Dhanndh,
hm? So beweist Ihr Ehrfurcht vor dem Hochkönig?"
"Das tue ich." Starkhand belauerte jede Bewegung um sich herum.
"So tue ich es, Cwmachdod", sagte der Garwydd. "Oder glaubt Ihr, ich
nenne mich Erbe aus einem anderen Grund? Nein, also seid versichert: was
Dhanndh Hägor ra Manan mir hinterließ, ist bei mir in guten
Händen." Er schwieg ein paar Atemzüge lang. "Und da Ihr gekommen
seid, da seid Ihr doch als Freund gekommen..." Wieder Schweigen.
"Dem Herrscher. Im Guten." Starkhand ließ sich auf das linke
Knie nieder und neigte kurz das Haupt, dann erhob er sich wieder.
"Das macht mich froh, Cwmachdod", sagte der Garwydd und lehnte sich
zurück. "Mortael - eine Lautmalerei, nicht wahr?" Er wies auf die
Truhe.
"Öffnet sie. Der Inhalt gehört Euch."
Starkhand ließ sich abermals auf ein Knie nieder und wurde sich
auch dieser Demütigung bewußt. Aber er ließ sich nichts
anmerken und öffnete die Truhe. Sie enthielt Goldstücke und auch
ein paar edle Steine, reiches Auskommen für viele Jahre. Aufstehend
fragte er:
"Warum wollt Ihr mir das schenken?"
"Das ist Euer Lohn, Cwmachdod." Siber Lobar wedelte mit den Händen.
"Ihr habt Tir Thuatha treu gedient, das soll Euch entgolten werden. Bevor
Ihr fragt: Wir entbinden Euch Eurer Pflichten. Lebt fortan auf Euren Besitzungen..."
Er sah den älteren Druiden fragend an.
"Dem Cwmachdod, genannt ra Mortael, ist zu eigen verzeichnet das feste
Haus Malainbrys..." - "Himmelswehr!" warf Starkhand ein. - "Dasselbe. Daneben
das feste Haus Calan am Frühlingspfad, ferner einige Güter in
Dol Mortael, gothorisch Martelltal, namentlich..."
"Jaja, und so weiter", wurde er vom Garwydd unterbrochen. "Beachtlicher
Besitz, genug für ein bequemes Leben, denke ich."
"Aber...", begehrte Starkhand auf, doch der Herrscher bedeutete ihm zu
schweigen.
"Ihr habt bisher die Rechte und Pflichten eines Fynn in Tir Laighainn
innegehabt, ohne daß Euch solch ein Amt vor dem Purpurthron verliehen
worden wäre. Daneben hattet Ihr wie ein laighainnischer Ritter Gewalt
über die Grenzfestungen und wart Euch auch nicht zu fein, die Cladhinn
des Heeres in Schranken zu weisen, die Ihr bestimmtet, was immer wieder
für Mißstimmung gesorgt hat." Siber zog eine Augenbraue hoch.
"Mut? Oder Stolz? Hm. Wenn ich das recht verstanden habe, beruft Ihr Euch
auf generationenlange Überlieferung, die in Tir Laighainn nicht angezweifelt
wurde."
"So ist es. Herrsche der über das Volk, der sein Herz erreicht",
sprach Starkhand ärgerlich.
"Herz, hm? Damit habt ihr es da an der Grenze." Er rieb sich die Stirn.
"Wie es auch sei: Ich bin der Garwydd und führe Hägors Werk fort.
Nehmt also das Geschenk und seid frei!" Er hob eine Hand und sank wieder
in die Tiefe des Purpurthrones. "Andere werden Eure Aufgaben übernehmen."
Starkhand dachte ein paar angestrengte Atemzüge lang nach, dann
sagte er laut und mit fester Stimme:
"Ihr meint nicht, was Ihr sagt. Daß ich genug besitze, haben
wir gehört; es bedarf keiner Geschenke. Ich werde Euch nicht beleidigen,
wenn ich sage, daß ich mir der Demütigungen sehr wohl bewußt
bin - dieses Gold ist die letzte in einer Reihe. Behaltet es; die Botschaft
ist angekommen." Starkhands Brauen zogen sich zusammen, finster blitzte
es darunter aus seinen Augen.
"So? Ist sie das?" Siber fragte wie beiläufig.
"Ihr wollt also sehen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin? Drängt
mich beiseite und ich bleibe doch. Laßt die Cladhinn ruhig die Grenze
in Aufruhr versetzen und fette Laighinn-Ritter die Befehle geben in den
Tälern: Ich bin noch da. Nehmt Calan seine Stimme: Ich bleibe noch
zehn Jahre, und viele mit mir. Ihr enthebt mich meiner Ämter nur Berg
um Berg, Tal um Tal, vom Paß der Riesen bis zur Grenze. Ihr müßt
schon halb Dannanain schicken, um uns aus dem Eis zu hauen..."
"Versteigt Euch nicht..." Es schien, als brause der Garwydd auf, doch
er fing sich augenblicklich. "So steht ein Feind vor mir?"
"Kein Nehmer von Geschenken." Starkhand atmete tief durch. "Versteht
mich recht: Meine Vorfahren hielten für Jahrhunderte an diesem Land
fest, führten ein Leben in Abwehr. Dank Hägor gehen wir wieder
aufrecht und leisteten den Eid auf die Krone nach älterer Art. Weil
er kein Verderber des Landes ist - dem Land allein gilt unsere letzte Treue
und Ihr, Druide, wißt das nur zu gut. Deshalb: macht mir Geschenke,
schickt mich und die Meinen zurück in die Bedrängnis - wir bleiben
doch."
Bange Augenblicke lang fragte sich Starkhand, ob die glücklicheren
Jahre für seine Heimat nun beendet sein würden, doch da erhob
sich der Garwydd, breitete die Arme aus und rief:
"Wacker gesprochen! Ihr seht hungrig aus: nehmt mit mir ein Frühstück
ein und Ihr werdet erfahren, daß Euer Wort Gewicht hat."
So war er nur einer Probe unterzogen worden und Starkhand war sehr erstaunt,
daß der Garwydd das freimütig eingestand, so, als gehörten
derlei Offenheiten zum Wesen eines Herrschers. Starkhand blieb also mißtrauisch.
Das Essen, das sie in einer abseits gelegenen Kemenate einnahmen, war
einfach, aber reichlich, und der volle Bauch stimmte den Ritter friedlicher.
Trotzdem wollte er wissen:
"Bleibt es dabei? Nehmt Ihr mir die Rechte?"
"Wäre das klug?" fragte der Garwydd zurück, ein Stück
Brot zwischen den dünnen Fingern zerpflückend. "Ich kann nicht
jeden Edlen in Tir Thuatha gewaltsam unterwerfen. Sie sollen sich mir verpflichten,
ohne das Reich in weitere Kämpfe zu stürzen. Viele, die mich
kennen, stimmen mir darin zu und folgen mir ohne Murren. Die mich nicht
kennen, sind vielleicht ihren Righs genug verpflichtet." Er schwieg ganz
kurz. "Nichts hindert mich, Euch die Cladhinn auf den Hals zu hetzen. Ihr
würdet ein paar Jahre belagert und dann sterben. Doch zum einen sehe
ich keinen Sinn darin, Tausende zu verfolgen, nur weil durch sie Gothorisches
in Tir Thuatha weiterlebt, zum anderen könnt Ihr mir nützlich
sein."
Siber Lobar hielt inne und sah Starkhand aufmerksam an.
"Zuerst aber muß ich Gewißheit über Eure Gesinnung
haben: Wollt Ihr nicht heim nach Clanthon, jetzt, wo das Einhorn abermals
nach Ageniron zurückgekehrt ist?"
Starkhand schüttelte langsam den Kopf, doch dem Garwydd genügte
das nicht.
"Der König ist nicht unumstritten, wie zu hören ist. Und
wenn er nun fiele? Wenn ein Euch genehm gesinnter Kopf die Krone nähme?
Wärt Ihr dann noch mein Grenzwächter oder nicht vielmehr die
Speerspitze, die sich in meinen Leib bohrt?" Seine Lider verengten sich,
als er das sagte.
"Die so denken, haben nicht das Land im Sinn", behauptete Starkhand,
"sondern den eigenen Vorteil. Seid Ihr nicht von den Bolghinn?" - Siber
schwieg. - "Ihr kennt die Lieder: zwei Völker der Menschen schworen,
das Land zu befreien. Der Bund zerbrach, doch streicht den einen Teil,
und Ihr erhaltet nie ein Ganzes."
"Schöne Geschichten, ich kenne sie, ja. Aber hielten die Kämpfe
nicht viele Male so lange an wie der Eid?" Der Garwydd lächelte.
"Und macht das den Eid wertlos?" fragte Starkhand zurück. "In
Calan kennt jedes Kind diese Geschichte: die Stämme schworen dem König
und der König schwor dem Land: ,Das Land ist in mir, ich bin das Land,
mein Herz für die Krone als ewiges Pfand!’ Und so band er selbst die
Berge an sich. Das ist meine Gesinnung, Garwydd, nicht, irgendeinem Mythanenknecht
zu folgen."
"Dann lernen die Kinder also auch dies: ,Hand und Verstand heilen die
Not, Clanthons Schwert sei Mythanos’ Tod!’ Wir leben in anderen Zeiten,
Cwmachdod, das Clanthon, dessen Schwert solche Macht hatte, ist vergangen."
Siber hob die Hände in die Höhe. "Wo steht Ihr also?"
"Klebt Ihr an den Namen? Ich versuche, hinter die Dinge zu sehen."
Starkhand winkte ab. "Ihr wißt es. Zu Eurer Frage also: Ich werde
kein Vasall von Peutin sein, solange der Purpurthron das Land nicht verrät."
Der Garwydd bedachte die Antwort. Schweigend erhob er sich und schritt
langsam auf und ab, die Hände vor dem Gesicht gefaltet. Starkhand
wartete.
"Den Frühlingspfad vom Paß der Riesen bis zur Grenze?" fragte
Siber Lobar unvermittelt. Starkhand nickte. "Lehenshoheit über die
Seitentäler mit den bisher festgesetzten Rechten?" Starkhand nickte.
"Sicherheit für die Euren, wenn Ihr gleiches den Laighinn am Frühlingspfad
zusichert?"
"So war es immer."
"Befehlsgewalt über die Grenzfesten, hm. Ich will es so belassen,
wenn Ihr weiterhin die Mäßigung der Flatha Thuatha gewährleistet
und Ihr - nicht Ahnarab - die Kosten für den Unterhalt tragt, soweit
sie nicht den Anteil des Reiches betreffen." Er blickte Starkhand in die
Augen. "Oder hängt Ihr so am Gold?"
"Der Preis ist beachtlich."
"Der Righ der Laighinn ist weit. Wenn ich verhindern kann, daß
der Eigennutz des Städtebundes der Grenzsicherung schadet, dann tue
ich das. Zahlt Ihr den Preis?"
Starkhand willigte ein. Doch der Garwydd war immer noch nicht zufrieden.
"Ich war eine Zeitlang nicht im Kern der Geschehnisse zugegen, doch
als ich mich mit Euch beschäftigen mußte, sagte man mir, daß
Ihr eine Tochter habt, Adelmut, Eure einzige Erbin..."
Starkhand ließ den Kopf in die aufgestützte Rechte sinken.
"Man sagte mir auch, sie sei im Langen Winter zur clanthonischen Markgräfin
von Calan ernannt worden..."
"Ist es nicht bedeutungslos?" seufzte Starkhand, beinahe bittend.
"In jedem anderen dieser Fälle wäre es das, aber hier erkenne
ich den Willen, die geäußerten Ansprüche in die Tat umzusetzen."
Der Garwydd setzte sich wieder an den Tisch und hörte, wie Starkhand
zu erklären versuchte:
"Die Vergabe dieser Lehen in Tir Thuatha war das Werk des abtrünnigen
Albghinn - keinesfalls ist meine Tochter ausgesandt worden, diesen Anspruch
zu erheben. Ich denke, sie wollte mich um eines alten Streites willen treffen
und das kam dem Sorc zupaß, der damals für den ra Ys die Geschäfte
führte."
"Leichtfertiger Umgang mit der Herrschaft anderer Leute bleibt es dennoch.
Das bringt mich zu einem weiteren Anliegen: Eure Kenntnisse der beiden
Reiche scheinen mir wertvoll genug, daß ich sie nutzen möchte."
"Wie das?" fragte Starkhand, noch mürrisch von der Frage des Herrschers
nach seiner Tochter.
"Ihr seid ein Teil beider Welten und verwaltet den Weg, der sie verbindet.
Ein schöneres Bild fällt mir nicht ein, um zu begründen,
warum Ihr künftig in meinem Auftrag alle vermittelnden Geschäfte
Tir Thuathas mit Clanthon in die Hand nehmen werdet. Darin untersteht Ihr
mir dann unmittelbar. Euer Lohn sei das damit verbundene Ansehen." Der
Garwydd lehnte sich zufrieden zurück.
"Und weiterer Neid." Starkhand holte Luft. "Fehlte mir noch."
"Wollt Ihr nicht mehr Macht?" fragte Siber Lobar.
"Der Thron ersetzt mir die Kosten."
"Gegen genaue Abrechnung."
"Ich werde Euch würdig vertreten müssen..."
"Kredite in Dhanndhcaer..."
"Ein jährlicher Abschlag..."
"Verfügungen in Waren..."
"Zahlungsversprechen auf Ahnarab..."
"Niemals."
Sie einigten sich gegen Mittag.
Als Starkhand das Gefühl hatte, nicht mehr gebraucht zu werden,
bat er darum, gehen zu dürfen. Doch der Garwydd hieß ihn zu
bleiben.
"Da wäre noch etwas."
Starkhand war neugierig.
"Euer Treueid."
"Was ist damit?" Starkhand versteifte sich unwillkürlich.
"Ihr müßt ihn vor mir erneuern."
"Der Eid gilt dem Dhanndh, seiner Krone und dem Land. Ich sagte bereits:
Dazu stehe ich."
"Beruhigt Euch, Cwmachdod! Es sind ohnehin keine Zeugen anwesend."
Er schritt zur Tür und zog an einer Klingelschnur. "Aber seid gewarnt:
In allernächster Zeit werdet Ihr diesen Eid als Lehensmann ablegen,
damit ich nicht einen treulosen Dorn im Fleisch sitzen habe. Gebt mir bis
dahin Euer Wort, daß Ihr die heute getroffenen Vereinbarungen einhalten
werdet."
Starkhand zögerte nicht und sagte:
"Darauf gebe ich Euch mein Wort!"
"Gut, laßt Euch hinausführen", sagte Garwydd Siber freundlich.
"Bleibt aber in der Stadt: noch heute werden Euch einige Hofbeamte aufsuchen,
um die nötigen Einzelheiten besprechen." Er klopfte Starkhand auf
die Schulter. "Ach ja, Ihr werdet gegen Abend abgeholt."
"Zu welchem Zweck?"
"Nichts besonderes, ein Festessen hier im Palast, Ihr wißt schon:
Höflinge, Würdenträger aus dem ganzen Land, ungehobelte
Stammesfürsten, Gesandte aus fernen Ländern, alle miteinander
überaus freundlich, aber Ihr könnt Euch vorstellen, daß
jede dieser Freundlichkeiten ein Ziel verfolgt."
"Macht Euch keine Umstände: ich kann in meiner Unterkunft essen",
sagte Starkhand abwehrend.
Der Herrscher von Tir Thuatha lachte laut und schallend, beinahe meckernd.
"Ich mache keine Umstände; das ist mein Alltag. Und in Zukunft
wird es auch ein wenig der Eure sein, verlaßt Euch drauf. Habt Ihr
schon vergessen, daß ich Euch eben meine clanthonischen Angelegenheiten
in die Hände gelegt habe?" Er lachte abermals, so sehr, daß
ihm gar eine Träne aus dem Auge rann. "Oh, Ihr seid nach meinem Geschmack!
Geht jetzt. Und denkt daran: Ihr werdet guten Eindruck machen müssen,
ja, einen hervorragenden, würde ich sagen!"
Damit schob der Garwydd den zweifelnden Ritter auf die Tür zu,
wo bereits eine Wache erschienen war, die Starkhand aus dem Palast geleiten
sollte. Noch unten am Tor hörte man den Garwydd lachen.
Der Königspalast von Dhanndhcaer bot in der sommerlichen Abenddämmerung
ein völlig verändertes Bild: riesige Bahnen bunten Tuches flatterten
im Wind und verdeckten, von den Zinnen hängend, die bedrohliche Schwärze
des Bauwerks, das schon die axtschwingenden Kriegskönige früherer
Jahrhunderte beherbergt hatte. Nun regierte ein Druide dort und man sagte
von ihm, er sei friedfertiger als alle seine Vorgänger.
Starkhand und Hentze, der ebenfalls eingeladen worden war, hatten sich
Festgewänder kaufen müssen. Wohl war ihnen nicht dabei gewesen,
denn was man in Dhanndhcaer als festlich ansah, wäre in Calan als
geckenhaft verlacht worden. Sie fügten sich darein und ließen
sich von einer Wache abholen, die zwei zierliche Führpferde mitbrachte,
damit die Herren nicht laufen müßten. Kaum saßen sie auf
dem Rücken der Tiere, wurden sie neugierig beäugt von jedem,
der ihren Weg kreuzte bis zum Palast. Schließlich standen sie am
Eingang des Festsaals und warteten darauf, angekündigt zu werden.
"Im Angesicht des Garwydd Siber Lobar, des Beherrschers von Tir Thuatha
und Oberstem der Druiden, erscheint: des Garwydds Gesandter für clanthonische
Angelegenheiten, Starkhand von Calan, genannt Cwmachdod ra Mortael, Fynn
vom Pfad des Frühlings in Tir Laighainn, Herr von Himmelswehr und
Dol Mortael, Stimme der Gothori, Hüter der Grenze, in Begleitung seines
Herolds Hentze Blader zu Loon, Schwertmeister von Calan."
Starkhand preßte die Lippen zu einem Strich zusammen. Das war
nicht abgesprochen! "Stimme der Gothori": einer der Druiden aus Siber Lobars
Gefolge mußte diesen Seitenhieb eingefügt haben, um ihn als
Außenseiter zu kennzeichnen! Und der "Hüter der Grenze" machte
ihn ohne viel Federlesens zum Gegenstand vieler mißmutiger Gespräche
der anwesenden Cladhinn - beinahe hätte er auf den Boden gespuckt.
Hentze mußte ihn anstoßen, damit er den Saal betrat. Da
zwang sich Starkhand zu einem grimmigen Lächeln und schritt langsam
auf die Tischreihen zu, an deren Kopfende die Tafel des Herrschers quergestellt
war. Er bewegte sich unwillkürlich auf das Ende eines Tisches zu,
wo er freie Plätze erblickt hatte; Hentze folgte ihm mit zwei Schritten
Abstand.
Da glotzten sie ihn auch schon alle an, schien es ihm; ihm wurde ungemütlich
warm in der ungewohnten Kleidung, obwohl sie so dünn war, daß
er sie niemals zuhause getragen hätte. Als sei das nicht genug, bemerkte
er jetzt den Garwydd, der ihm mit ausgestrecktem Arm den Weg wies - nicht
etwa auf einen freien Platz, sondern in Richtung zweier Laighinn-Ritter,
übereck vom Herrscher sitzend, in dem er zu seiner Bestürzung
Müßiggänger von jener Art erkannte, die auch auf seinen
Ländereien nach Abwechslung suchten und die Starkhand regelmäßig
von Bewaffneten verscheuchen lassen mußte.
"Wollt Ihr wohl so freundlich sein und Euren Platz meinem Gesandten
und seinem Begleiter überlassen, meine Freunde?" hörte Starkhand
da den Garwydd freundlich befehlen. Sein Seufzen blieb unhörbar: Er
brauchte nicht das haßerfüllte Funkeln in den Augen der Laighinn
zu sehen, um zu wissen, daß er in nächster Zeit wieder mit ihresgleichen
zu tun bekommen würde.
"Ich danke Euch, ihr Herren!" sagte er darum betont höflich, ohne
die Gekränkten anzusehen, nickte dem Garwydd zu und ließ sich
nieder. Der Herrscher lächelte zurück.
Das Essen nahm seinen Lauf, das Fest ging weiter und Starkhand wußte:
Er hatte ein Geschenk in Gold ausgeschlagen und dafür ein anderes
erhalten, über das er noch lange nachdenken wollte. Dazu mußte
es ihm jedoch erst einmal gelingen, diesen Esraner loszuwerden, der ihn
in Beschlag nahm, um über Aufstände zu reden und wie man sie
siegreich durchführt, oder den clanthonischen Tuchhändler, von
dem er wußte, daß er in Peutin - und hier also auch - in höchsten
Kreisen verkehrte. Das Salz in der Suppe waren natürlich die beiden
Laighinn, die ihm im Vorbeigehen Unerfreuliches ins Ohr zischten, und natürlich
thuathische Edle aller Stämme, die ihn gründlich musterten. Bei
alldem bemerkte er nicht, wie sich der Garwydd samt ihn umschwärmender
Gäste an ihn heranschob.
"Auf Euer Wohl, Gesandter!" trank der Herrscher im Druidengewand ihm
zu. "Glaubt mir: Was immer Ihr auch in Zukunft zu tun gedenkt, Ihr werdet
immer neugierige und aufmerksame Zuschauer haben. Ihren Augen entgeht nichts!"
scherzte der Herr von Tir Thuatha.
"Das fürchte ich auch", murmelte der Ritter mißgelaunt,
"das fürchte ich auch."
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