Meandra

Meandras linke Hand ruhte auf dem Porträt in Öl. Sie wirkte entspannt und doch nachdenklich, wie stets, wenn sie in Gedanken bei ihrem alten Lehrmeister und Freund war. Selbst die Zeit eines Erzmagiers war begrenzt. Eine schmerzliche Erkenntnis, die ihr vor nun zehn Jahren zuteil wurde und die ihr Leben für eine Weile aus der Bahn geworfen hatte. Manrar war für sie neben der Magie der Inhalt ihres Lebens gewesen: Lehrer, Freund und auch ein Vater.

Sie seufzte tief und blinkte eine Träne weg. Die Magie war ihr geblieben und mit ihr das Vermächtnis eines der mächtigsten Magier, den diese Welt gekannt hatte. Er hatte ihr alles beigebracht und heute war sie die erste Erzmagierin. Sie lächelte bei dem Gedanken an den Augenblick, als Manrar sie im Rat erst als seine Gehilfin, später als seine Nachfolgerin vorgestellt hatte. Eine Frau im illustrestren Kreis von Männern, den die Welt zu bieten hatte ... Allerdings wagte auch niemand dem alten Manrar zu widersprechen und ihre herausfordernden Blicke trafen die der anderen vierzehn Erzmagier des Rates. Heute hatten sie sich an ihren Anblick gewöhnt und kannten ihre Fähigkeiten. Meandra hatte allerdings Zweifel, dass sie für die Kollegen etwas anderes als ein Magister der Magie war. Mit Frauen taten sich die hohen Herren und Akademien noch immer schwer und verweigerten den Zugang nach wie vor.

Meandra löste sich mit einem dezenten Schmunzeln und noch ganz in Gedanken vom Anblick des Porträts. Ihre dunkelblaue, samtene Robe raschelte, als sie sich durch das üppig ausgestattet Studierzimmer Manrars auf den hohen Sessel zubewegte. Sie hatte es immer nur den Ruheraum genannt. Es war hier so gemütlich und bequem, dass sie dort nicht arbeiten konnte. Auch daran hatte sich nichts geändert, außer dass es inzwischen eher eine Art Schrein und Raum der Erinnerungen für sie war. Nichts, was sie nicht an den alten Manrar erinnert hätte. Und sie erinnerte sich voller Zuneigung und Liebe.

***

Meandra war schon immer anders, als die anderen Kinder. Während Naori, ihr Bruder, mit Freunden draußen herumtollte, verschlang sie förmlich jedes Buch, jede Schrift, die sie in die Finger bekam. Später, ihr Bruder war bereits Angehöriger der königlichen Garde, diskutierte sie mit ihm beinahe täglich über Politik. Das ging so weit, dass ihr Vater, Angestellter der Stadtkämmerei der Hauptstadt Ernestyr, ihr damit drohte, sie aus dem Hause zu werfen, wenn sie weiter den König oder die Politik seiner Regierung kritisieren würde. Mehr als ein Mal hatte sie dann wutschnaubend das Haus verlassen und war durch die Straßen gelaufen, um sich abzureagieren. Und mehr als ein Mal war sie in jenen Tagen auch an der Akademie der magischen Künste vorbeigekommen. Und immer öfter blieb sie davor stehen, war sich nicht schlüssig, warum genau sie dort stehen blieb. Irgendetwas in ihrem tiefsten Inneren mochte es sein, aber sie ertappte sich natürlich auch dabei, die jungen Magier und Studenten der arkanen Wissenschaften genauer zu mustern. Und mehr als einer hatte ihr ein Lächeln zugeworfen, denn Meandra war alles andere als hässlich.

Eines schönen Morgens, in der Mitte des Sommers, als sie ihr siebzehntes Lebensjahr bereits vollendet hatte und sich ihre Eltern fragten, was aus dem Mädchen denn werden solle, eröffnete sie der Familie am Mittagstisch, dass sie daran denke, die magischen Wissenschaften zu studieren. Ihrem Vater blieb sprichwörtlich das Essen im Halse stecken, ihr Bruder war wenig überrascht und ihre Mutter blickte sie entsetzt an.

"Kind", hatte sie damals gesagt. "Bist du denn völlig verrückt geworden? Du weißt doch, dass die Akademie keine Frauen annimmt."

Meandra hatte nur genickt, ließ sich beim Essen jedoch nicht stören. Erst einige Bissen später setzte sie hinzu: "Das stimmt so nicht, Mutter. Die Akademie hat bis jetzt keine Frauen angenommen."

"Und wieso", gab ihr Bruder, ein Schmunzeln verbergend, zu bedenken, "sollten sie gerade für dich eine Ausnahme machen?"

"Vor sechs Jahren begann die Garde damit, auch Frauen auszubilden". Meandra starrte Naori durchdringend an. Von ihm hatte sie am wenigsten Widerspruch erwartet.

"Die Akademie untersteht nicht dem König ..."

"Sondern dem Zirkel der Erzmagier. Jaja." Meandra winkte ab und beendete ihre Mahlzeit, räumte ab und spülte das Geschirr oberflächlich.

"Mal ganz abgesehen von der Tatsache", meinte Meandras Vater, der sich zwischenzeitlich wieder einigermaßen gefangen hatte, "dass sie vermutlich eher einen Esel aufnehmen, als eine Frau, würde es mich wirklich brennend interessieren, wer die teuere Ausbildung bezahlen soll?"

Meandras Blick heftete sich voller Unverständnis auf ihren Vater. Bevor es jedoch dazu kam, dass die zwei sich stritten, gab Meandras Bruder zu verstehen, dass er sie notfalls unterstützen würde. Er hatte seine jüngere Schwester sowieso stets in Schutz genommen und ihr geholfen, wann immer es nötig, gelegentlich auch wenn es alles andere als notwendig, war. Sogar jeden aufgeflogenen Schabernak, der eigentlich auf ihr Konto ging, nahm er auf seine Kappe und hatte dann die Strafe auszubaden. Sie liebte Naori dafür und sie mochte seine freundliche und doch bestimmte Art, an der auch seine harte Ausbildung bei der Garde und später sein Dienst nie etwas zu ändern vermochte.

"Schön", hatte sie darauf nur knapp geantwortet, stand auf und machte sich schnurstracks auf den Weg zur Akademie, um sich einschreiben zu lassen.

Wie nicht anders zu erwarten, ließ die Torwache sie nicht hinein. Die meisten Angehörigen der Akademie beachteten sie im Vorbeigehen nicht einmal, andere hatten nur Hohn und Spott für sie übrig. Schließlich gelang es ihr, einen Magister am Ärmel zu erwischen und ihr Anliegen zur Hälfte vorzutragen, bevor sie ein kleiner Blitz zu Boden warf.

"Bist du völlig von Sinnen?", zischte der Mann wütend und wischte den Ärmel seiner Robe nachdrücklich ab, ganz so als müsse er Schmutz dort entfernen. Bevor Schlimmeres passieren konnte, eilte ein junger Akoluth herbei und erinnerte den Magister daran, dass er vom Dekan drigend erwartet wurde. Mit einem Grunzen quittierte dieser die Erinnerung und entfernte sich mit wehender Robe, nicht ohne erneut den Ärmel zu reinigen.

Der junge Mann streckte darauf Meandra die Hand hin und half ihr wieder auf die Beine. Er lächelte sie freundlich an.

"Ihr solltet das nicht tun", meinte er ernst.

"Was?", fragte Meandra, noch immer wütend über das Verhalten des Magiers. "Was soll ich nicht tun? Mich hier einschreiben?" Sie ergriff die Hand und ließ sich helfen.

"Oh ... darum geht es." Der Blick des Akoluthen wirkte nachdenklich. "Ich habe hier zwar noch nie eine Frau gesehen, aber ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, ob es eine Regel gibt, dass Ihr Euch nicht einschreiben könnt. Allerdings gibt es eine Regel, dass Frauen das Gelände der Akademie nur in Begleitung eines Magiers betreten dürfen."

"Ach?" Meandra entfernte den tatsächlich vorhandenen Staub der Straße von ihrer Kleidung.

"Ja ... und rein zufällig bin ich Magier an dieser Akademie."

Meandra beäugte die nur mit wenigen Symbolen bestickte Robe ihres unwesentlich älteren Gegenüber.

"Naja", setzte er hinzu, nachdem er ihren skeptischen Blick bemerkte. "Magier im ersten Grad. Aber das reicht aus, um in meiner Begleitung das Gelände zu betreten. Gehen wir?"

"Du hilfst mir beim Einschreiben?" Sie war nach wie vor skeptisch.

"Ich sagte schon, dass ich keine Ahnung habe, ob dies geht, aber ich kann Euch zum Dekan bringen." Er lächelte. "Magister Ehrani ist ein freundlicher alter Herr. Wenn es möglich ist, wird er Euch sicher helfen. Und übrigens, mein Name ist Matia."

"Na schön", Meandra ergriff den Arm des Mannes. "Gehen wir, Magister Matia."

"Einfach Matia. Und Euer Name?"

"Meandra."

Er nickte und gemeinsam betraten sie unter den skeptischen Blicken der Torwache das Gelände der Akademie. Ein Kribbeln und Schauder der Erregung liefen Meandra den Rücken hoch und runter, während immer mehr der Studenten und Magier sie musterten.

Wie nicht anders zu erwarten weigerte man sich, Meandra aufzunehmen und auch wenn der Dekan freundlich blieb und das Anliegen verstand, mochte er doch keine Ausnahme machen. Matia geleitete die wütende und enttäuschte Meandra bis zum Tor und verabschiedte sich dann nachdenklich.

Tage später erschien der junge Matia bei Meandra zu Hause und verlangte, sie zu sprechen.

"Wie hast du mich gefunden?", wollte sie wissen. "Und was willst du?"

"Es war nicht sehr einfach, Euch zu finden", entgegnete und bat mit einer Geste darum, eingelassen zu werden. Meandras Mutter sah den jungen Magier mit Erstaunen an und ihr fragender Blick ruhte dann auf ihrer Tochter, die sich aber nicht darum kümmerte. Meandra bat ihn hinein und bot ihm einen Stuhl an.

"Also?" Meandra stand mit verschränkten Armen ihrem Gast gegenüber. Matia lächelte sie verschmitzt an und kramte eine Schriftrolle aus einer Tasche seiner weiten Robe hervor.

"Ich habe Euch etwas mitgebracht, Meandra."

Er hielt ihr die Rolle entgegen und sie betrachtete sie mit erstauntem Gesicht. Da war wieder dieses Kribbeln.

"Ihr wart so nachdrücklich und ich denke, ihr habt das erforderliche Durchsetzungsvermögen. Aber wenn euch nie jemand testet, werden wir wohl kaum erfahren, ob ihr in der Lage seid, Magie zu wirken."

"Du ..." Meandra sah Matia erstaunt an. "Du willst mich testen?"

Jetzt blickte Matia für den Moment wenig geistreich drein, fing sich aber schnell wieder und lachte.

"Nein, ich denke nicht, dass ich das kann. Aber nehmt die Schriftrolle." Er wedelte mit dem Stück Pergament. "Darauf findet ihr die einzige Möglichkeit, wie ihr Magie erlernen könnt und dies auch anerkannt und nicht als verbotene und wilde Magie geächtet wird."

Sie nahm die Schriftrolle stirnrunzelnd entgegen und löste das blaue Band, um einen Blick darauf zu werfen. Namen, Orte, Wegbeschreibungen ... Ihr irritierter Blick ging vom Papier auf den jungen Magier über.

"Die Namen und Orte", entgegnete er trocken, "an denen ihr die Erzmagier findet. Nur diese dürfen außerhalb der Akademien ausbilden."

"Oh ..." Meandra entrollte das gesamte Dokument und überflog Namen und Anschriften.

"Zumindest die Wohnorte sind geheim." Matia lehnte sich ein wenig vor und wirkte angespannt. "Von mir habt ihr die Rolle nicht."

"Welcher ist der Beste?", verlangte Meandra zu wissen, ohne auf den vorigen Kommentar einzugehen und Matia musste sich ein Grinsen verkneifen. Irgendwie hatte er damit gerechnet.

"Hochmagister Manrar Daranir", antwortete Matia nach kurzem Überlegen, lehnte sich dann entspannt zurück. "Allerdings hat er, so weit ich weiß, in den vergangenen zweihundert Jahren niemanden ausgebildet oder auch nur empfangen. Zu den Sitzungen des Hohen Rates taucht er angeblich auch nur gelegentlich auf. Er ist eine Legende ... schlagt euch das aus dem Kopf. Er würde ..."

Eine knappe Geste gebat dem Magier zu schweigen. "Gut. Ich danke dir wirklich, Matia. Ich werde niemandem sagen, woher ich diese Informationen habe." Darauf verschwand sie in ihr Zimmer und begann zu packen.

Meandras Mutter fragte Matia, ob er etwas zu trinken oder zu essen wolle.

"Vielen Dank, gute Frau", erwiderte er freundlich. "Sagt, ist eure Tochter immer so ... zielstrebig?"

Die Mutter seufzte tief. "Wenn sie es sich in den Kopf setzen würde, wäre sie vermutlich die nächste Königin. Was um alles in der Welt habt ihr ihr da gegeben?"

"Das", antwortete Matia mit ernster Miene, "darf ich euch nicht sagen."

Meandras Mutter nickte und sah dem Magier nach, wie er die Straße hinunterging.

Am späten Nachmittag eilte Meandra zum Hafenamt und verlangte zu wissen, wann das nächste Schiff zur weit im hohen Norden liegenden Insel Kasena fahren würde. Der Beamte sah sie zunächst einen Augenblick an, als habe ihn jemand gebeten einen Termin bei Fakana, dem Seegeist, zu machen, begann dann aber damit, die Bücher zu wälzen. Heraus kam dabei, dass es von hier aus keine direkten Verbindungen gab und lediglich aus der freien Stadt Laghura zwei Mal im Jahr ein Schiff die Insel anlief.

Wenig später buchte Meandra eine Passage auf einem Dreimaster, der bereits am Morgen des folgenden Etian, also in zwei Tagen, nach Laghura auslaufen würde. Die eine Hälfte zahlte sie, für den Rest vereinbarte sie, in der Kombüse und auf Deck zu arbeiten. Ihr Bruder besuchte den Kapitän während seines Dienstes in der Uniform eines Offiziers der könglichen Garde und unterrichtete ihn, dass, sollte er nicht in regelmäßigen Abständen Nachricht von seiner Schwester erhalten, es ihr gut gehe, er ihn auf der Stelle verhaften würde. Meandra wusste natürlich nichts davon, wunderte sich aber, wie fürsorglich der Kapitän während der Fahrt war. Selbst in Laghura, einer Stadt, die noch wesentlich größer als die Reichshauptstadt selbst war, begleitete er sie zum Hafenbüro und sah zu, dass sie die Passage zu der weit entfernten und selten besuchten Insel buchte. Nun musste sie nur noch das Geld verdienen, um die Passage auch bezahlen zu können.

Nur Naori hatte Meandra gesagt, was sie vorhatte. Er war mäßig begeistert und wollte sogar seinen Dienst quittieren, um sie begleiten zu können, aber Meandra wurde daraufhin so wütend, dass er es ließ. Sein Wunschtraum war es stets gewesen in der Garde zu dienen und das hatte er erreicht. Sie wollte nicht sehen, dass er dies ihretwegen aufgab.

"Ich werde bei Manrar anfangen", hatte sie voller Zuversicht gesagt. "Und wenn er mich nicht aufnimmt, werde ich es bei allen anderen dere Reihe nach versuchen." Dann überreichte sie ihrem Bruder eine Abschrift der Schriftrolle, denn er hatte darauf bestanden, nachvollziehen zu können, wo sie er sie im Notfall finden konnte.

Laghura war schon immer ein Moloch und eine extrem gefährliche Stadt, da sie unabhängig vom Reich durch einen Rat mehr schlecht als recht regiert wurde. Zwar war Meandra neugierig, aber auch vorsichtig. Geld hatte sie so oder so keins und sie arbeitete in der Herberge, in der sie wohnte. Über Winter würde kein Schiff nach Kasena fahren. Meandra musste die nächsten sieben Monate in Laghura verbringen.

Bei einem ihrer abendlichen Streifzüge lief sie in eine kleine Gruppe betrunkener Halbwüchsiger und es half ihr gar nicht, dass sie durch Umkrempeln der Taschen nachdrücklich darauf hinwies, dass sie so gut wie kein Geld besaß. Es dauerte nur einen schnellen Herzschlag mehr, bis ihr klar wurde, dass es den Trunkenbolden ganz und gar nicht um Geld ging. Schon begrapschten sie die junge Frau, zerrten an der Kleidung und sie hatte Mühe, sich zur Wehr zu setzen, auch wenn sie ihrem Bruder das ein oder andere abgeschaut hatte. Fünf Gegner waren deutlich zu viel, auch wenn drei von ihnen Mühe hatten, sich auf den vom Alkohol wackligen Beinen zu halten. Eins war ihr klar: Wenn es zu einer Vergewaltigung kam, würden sie sie ebenso wenig am Leben lassen, als wenn sie nicht zum Zuge kommen würden.

In diesem Augenblick höchster Not und Verzweiflung trat aus den Schatten heraus eine völlig in schwarz gekleidete und vermummte Gestalt und stieß einen der Angreifer rüde zu Boden. Meandra erkannte eine Stickerei, eine blutrote, sich windende Schlange auf der schwarzen Kluft, direkt unterhalb des linken Schulterblattes. Langsam glitt die behandschuhte Hand zu einer der Waffen, deren Heft ebenso schwarz war, wie die Scheide in der sie steckte. Die fünf angetrunkenen wurden aschfahl, winselten, wimmerten Entschuldigungen und suchten wankend, rennend und auch kriechend, so sie stürzten das Weite.

"Komm", vernahm Meandra eine angenehme und junge Stimme, die alles andere als bedrohlich klang. Sie ergriff die ausgestreckte Hand und erkannte weichen, sehr teuren Stoff. Der Handschuh, die ganze Kleidung verursachte nicht ein Geräusch, während sich die noch immer heftig atmende Meandra ihre Kleidung zurecht machte, so gut es ging. Als sie das nächste mal aufsah, fing sich ihr Blick in den dunkelgrünen Augen ihres Gegenüber. Das jungenhafte, freundliche Gesicht eines Gleichaltrigen. Für einen Moment stockte ihr der Atem,dann lächelte sie zurück. Sie wusste genau, dass sie nichts sagen, sich nicht bedanken musste und er trotz seiner durch die Art der Kleidung offensichtlichen Tätigkeit ihr ohne jeden Hintergedanken geholfen hatte. Wenig später stellte sich heraus, dass er nicht nur ihr erster Liebhaber wurde, sondern auch Angehöriger der größten ansässigen Diebes- und Meuchlergilde war. Meandra arbeite jetzt nicht mehr in der Herberge, sondern wohnte bei Andary. Der junge Mann war sehr fürsorglich und liebevoll und unterstütze die Idee Meandras, bestand aber auch darauf, dass sie lernte, sich selbst mit Waffen zu verteidigen, die Schatten zu nutzen, die Ohren aufzusperren ... und, wenn es denn sein musste, zu töten.

"Alle Theorie und die beste Ausbildung wird dir nicht helfen, wenn du auf dich allein gestellt bist und töten musst", hatte Andary zu ihr gesagt. So nachdrücklich er das verfolgte und so gelehrsam Meandra auch war, hatte er mit allem Nachdruck darauf bestanden, dass sie an keinen Tötungsaufträgen beteiligt war. Und doch hatte er sie irgendwann mit einem Auftrag in eine extrem gefährliche Situation geschickt und im Verborgenen gewartet, ob sie sich gegen die Angreifer würde zur Wehr setzen können. Und wie alles, was Meandra anfing, perfektionierte sie es in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand. Nur als sie Andary nach einer Weile darum anging, auch mal einen Meuchelauftrag ausführen zu wollen, verweigerte er die Zustimmung und wurde zum ersten Mal, seit dem sie ihn kannte wirklich böse.

"Wenn du damit anfängst, wirst du nicht mehr aufhören ...", hatte er geantwortet. "Oder nicht mehr aufhören wollen oder können. Du wirst Magierin. Das passt nicht zusammen. Wenn du damit anfängst, sind wir geschiedene Leute und du fliegst sofort hier raus!"

Leider konnte das Schiff nach Kasena nicht auslaufen, da es im letzten Sturm schwer beschädigt wurde und so musste Meandra warten, bis es überholt worden war. Nur dieses eine Schiff fuhr die entfernte Insel an, niemand anderes wollte dorthin fahren, da es nichts gab, was man auf dieser Reise verdienen konnte. Und Kasena lag nicht einmal nahe genug an irgendeiner Route, um einen Kapitän überreden zu können, einen Abstecher zu machen.

Andary sah es mit Freude, aber auch Besorgnis, denn Meandra fand Gefallen an dem Leben, das sie mit ihm in Laghura teilte. Da sie aber stets ihrem Bruder geschrieben hatte - ohne freilich darauf einzugehen, was sie in Laghura trieb - nutze dieser die Gelegenheit und besuchte sie während eines kurzen Urlaubs.

Seine Begeisterung über Andary hielt sich deutlich in Grenzen und die beiden Männer gifteten sich eine Weile an, bis er erkannte, dass Meandra mit dem seltsamen Dieb und Meuchler einen guten Treffer in dieser Stadt gemacht hatte. Sie hätte auch einfach ausgeraubt und ermordet werden können ... Hoch rechnete er ihm an, dass er sie aus dem Meuchlergeschäft herausgehalten hatte und sie auf das nächste Schiff nach Kasena verfrachten würde. Und als er sah, wie gut seine Schwester inzwischen mit den verschidensten Waffen umgehen konnte, war er voller Zuversicht, dass sie im Zweifelsfall ihr Leben wenigstens teuer verkaufen würde. Mehrfach hatte sie im Training bereits ihren Bruder besiegt, da sie nicht mit den so genannten fairen Mitteln kämpfte, aber nach einigen Diskussionen und Tagen hatte er eingesehen, dass es in Laghura nicht darauf ankam, ob jemand fair kämpfte. Die Regeln des Reichs galten hier nicht.

"Pass auf sie auf, oder ...", hatte Naori begonnen, als er kurz vor seiner Abreise mal wieder mit Andary alleine saufen gewesen war. Doch der winkte nur ab. Die Bemerkung war so überflüssig wie der helle Schein einer Kerze am Mittag.

"Oder was? Ich kann von hier aus womöglich viel besser auf sie aufpassen als du. Sie ist etwas ganz besonderes und ich liebe sie." Er trank einen großen Schluck des für die Region bekannten, süßen Weines, strich sich durch die zerzausten, eine Hand breit langen, schwarzen Haare und lehnte sich entspannt zurück. "Wenn sie ruft, folge ich ihr und die gesamte Gilde wird mir helfen. Wird die köngliche Garde dir folgen, wenn du sie brauchst, um deine Schwester zu retten oder zu rächen?"

Zwei Wochen später reiste Meandras Bruder wieder ab und wusste, dass seine Schwester in Laghura so sicher, wie nicht einmal der Bürgermeister selbst es war. Und einen weiteren Monat später war die 'Windläufer' wieder hergestellt und bereit, gen Kasena zu segeln.

"Da bist du vermutlich die Einzige", hatte Andary lachend gesagt, "die mit einem Schwert umgehen kann. Nichts wird dir dort passieren, obwohl ... Wenn ich mit dem nächsten Schiff keine Nachricht bekomme, werde ich dafür sorgen, dass es eine Invasion gibt!" Doch beiden fiel es alles andere als leicht, sich zu trennen.

***

Meandra erhob sich aus dem bequemen Sessel und ging zu der kleinen Bar, um sich einen Wein einzuschenken.

"Andary ...", flüsterte sie und Tränen traten in ihre Augen, während sie den tiefroten Wein aus der seltsam geformten Karaffe in ein mit magischen Symbolen verziertes Glas füllte. Sie wartete eine Sekunde, dann lag ein Funkeln auf der Oberfläche des Getränks und sie nahm den Glaspokal und ging langsam zu einer Couch, die direkt vor dem offenen Kamin stand. Auf einem kleinen Beistelltisch setzte sie das Glas ab und machte es sich bequem. um weiter ihren Erinnerungen nachzuhängen.

***

Die Hafenstadt Kasenas nannte sich schlicht Kasena. Und hier von Stadt zu sprechen, erschien Meandra mehr als nur ein bisschen verwegen. Eine Häuseransammlung beherbergte um die dreihundert Menschen. Fischer, Schäfer, Bauern ... Und sie empfingen sie mit einer Herzlichkeit, die sie so nicht kannte. Schon bald sprach sie davon, dass sie den Erzmagier Manrar aufsuchen wollte, um bei ihm zu lernen. Die Bewohner der Insel schienen weder Furcht vor Manrar zu haben, noch ihr Anliegen als seltsam zu betrachten.

Sie versuchte sich in der Sprache, die hier gesprochen wurde, erzählte den Einheimischen davon, was in der Welt vor sich ging und half ihnen bei den Arbeiten, die ihr bekannt waren. Immer wieder zog es sie hinaus in die wilde Landschaft der Insel. Heiße Quellen, in denen sie badete und erfrischt wurde. Geysire, die heißes Wasser aus den Tiefen ausspiehen und nach deren Rhythmus man sich richten konnte. Es war kalt auf Kasena, obwohl Sommer war. Es regnete immer wieder völlig überraschend und doch ... in dem Moment, wo man es nicht weiter ertragen konnte, brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete die hohen und stets weißen Berge der Insel. Der atembraubende Wechsel, die völlige Andersartigkeit im Gegensatz zu Laghura hielt Meandra gefangen. Sie wanderte hierhin und dorthin, besuchte Katen und kleine Dörfer und wurde stets willkommen geheißen. Ihren Waffen schenkte man deutlich mehr Aufmerksamkeit, wies sie darauf hin, dass diese auf Kasena nicht notwendig waren. Es dauerte, bis sie sie endlich ablegte.

Und es nahm zwei Monate in Anspruch, bis sie sich endlich dem Turm des Erzmagiers Manrar näherte. Nichts hielt sie ab und sie hatte auch keine Angst und doch zog es sie immer wieder zu den Bewohnern der Insel und an die entlegensten Orte.

Es war ein gewaltiger Turm, der bis hinauf in die dahinjagenen Wolken zu ragen schien, war er aus der Lava einer Eruption erschaffen. Außen rauh und unbearbeitet wirkte er eher wie die Absurdität eines längst vergangenen Vulkanausbruchs. Davor standen um die zehn halb zerfallene Hütten, zwei davon aus Stein gemauert und noch dürftig mit einem Dach gedeckt.

Meandra würdigte all dies keines Blickes, sondern ging sofort zum Tor des Turms und begehrte Einlass. Ein offenkundig uralter Mensch, der sich als Diener vorstellte, wies sie jedoch ab. Wütend hämmerte sie auf das Portal ein, bis es sich von der einen auf die andere Sekunde in massive, erstarrte Lava verwandelte und vom Rest des Turms nicht mehr zu unterscheiden war. Ungeachtet schlug sie sich die Hände wund, verlangte weiter, eingelassen zu werden und mit dem Hochmagister zu sprechen.

Nichts rührte sich. Das Wetter wurde wieder schlechter und der Fuß des Turms lag auf einem der Berge. Schnee fiel auf Meandra, die noch immer am Tor hockte. Dann bewegte sie sich vom Tor weg, als der Wind und Schneefall heftiger wurden und es ihr kaum mehr möglich war, sich auf den Beinen zu halten. In einer der massiv gebauten Katen fand sie ihre Zuflucht, nicht ohne vorher lautstark zu konstatieren, dass sie hier warten, bis sie empfangen oder sterben würde.

Tage und Nächte vergingen. Das Wetter spulte die üblichen Kapriolen ab. Meandra hämmerte ans Tor oder an die Stelle, wo es einst war, zog sich dann aber schnell wieder zurück, wenn das Schneegestöber dichter wurde oder der Wind wütend und bedrohlich aufheulte und schneidende Kälte über die Höhen schickte. Bald würde der Winter Einzug halten und das mochte ihr sicherer Tod sein.

Keine Reaktion. Der Turm stand ungerührt.

Meandra zitterte, fror. Schon lange war ihr das spärlich vorhandene Holz ausgegangen. Die wenigen Schafe, mit denen sie in den vergangenen Wochen in der Kate geschlafen und ihre Wärme genossen hatte, waren in tiefere Regionen gewandert. Bei mehreren Lämmern hatte sie Geburtshilfe geleistet, riss sich geradezu ein Bein aus, wenn es darum ging, sich eines der verirrten oder veletzten Schafe anzunehmen und so war sie Bestandteil der Herde geworden. Doch alles auffordernde Blöken, die im Winter extrem gefährliche Gegend zu verlassen und der Herde in die tiefer gelegenen Regionen zu folgen, schlug sie in den Wind.

Sogar der Winter zeigte sich gnädig und sandte als letzte Warnung einen kurzen, aber bedrohlichen Blizzard über die Höhen. Meandra fror, zitterte und war dem Tode nahe, denn das Schmelzen von Eis und Schnee und die wenigen jagbaren Kaninchen und Vögel reichten kaum aus, sie am Leben zu erhalten. Der Blizzard machte drei Tagen strahlender Sonne Platz und nur die bitter kalten Nächte erinnerten daran, dass schon bald der Monate dauernder Winter über Kasena einbrechen und alles Leben im Freien unmöglich machen würde.

Auch wenn sie am Ende ihrer Kräfte war, schleppte sie sich immer noch bis zum Turm, trug ihr Anliegen wieder und wieder vor oder hockte einfach nur dort.

Eines Morgens, als sie erwachte und ihre von der alles durchdringenden Kälte steifen Glieder in Bewegung zu setzen versuchte, fand sie auf dem Tisch ein kleines Buch, gekennzeichnet mit magischen Symbolen. Mit zittriger Hand schlug sie es auf und fand Formeln und Beschreibungen ... An der Stelle, wo sich ein aus geflochtenem Sommergras gefertigtes Lesezeichen befand verharrte sie eine Weile und las die Seiten aufmerksam. Für den Moment schien die Kälte wie verflogen.

Und während Meandra dort unten dem Tode nahe zu verstehen versuchte, was diese Formeln wohl bedeuten mochten, stand hoch oben auf dem Balkon des Turms ein uralter Magier und wartete. Wenig später leuchtete unten in der Tiefe in einer der Katen ein roter Schein und mit einem Lächeln auf dem Gesicht verschwand Manrar wieder in seinen Turm.

Es hatte zwei Tage gedauert, bis sich Meandra erschloss, was dort geschrieben stand und doch funktionierte die Magie erst, nachdem sie auch den Rest des Buches gelesen und verinnerlicht hatte. Alles hing zusammen, alles musst berücksichtig werden. Ihr Leben hing von dem anderer Wesen ab. Ihre Magie hing davon ab, wie sie sie verstand und nutzte. Das prasselnde Feuer wurde nicht durch Holz oder Torf genährt, sondern durch die pure Kraft der Magie, die sie selbst in die passende Form gebracht hatte. Anderenfalls hätte die schiere Energie die Insel zerrissen. Das Buch warnte nachdrücklich davor ... Sie hätte hier alles vernichten können! Und deshalb las sie es immer und immer wieder, und erst, als sie meinte, es verstanden zu haben und die Kälte wirklich nicht mehr ertragen konnte, riskierte sie einen Versuch. Das Ergebnis war ein prasselndes Feuer in dem offenen Kamin, genährt durch den beständigen Zufluss magischer Energie.

Auch wenn es ihr für den Moment nicht wirklich klar war, sondern sie sich lediglich über die Wärme und das Licht freute, so hatte sie doch Magie gewirkt.

Weitere Bücher und Schriften folgten in unregelmäßigen Abständen und - ohne es wirklich zu registrieren - lernte sie, was ein Magier wissen muss. Bis zu dem Tag im folgenden Frühjahr, an dem sie an einem Abhang stürzte, um eines der verirrten Lämmer zu retten. Sie hatte sich mehrere Rippen gebrochen und japste nach Luft. Die Schafe, besorgt um eine der ihren, konnten ihr nicht helfen und liefen verwirrt umher. Der Schmerz ließ sie in einen tiefen Schlaf fallen, aus dem sie erwachte, als jemand mit sonorer Stimme ihren Namen rief.

Neben ihr kniete jemand in einer schwarzen und reich verzierten Robe. Manrar, auch wenn sie es zu dem Zeitpunkt nicht wirklich wusste, jedoch ahnte.

Er nahm die Kapuze seiner Robe zurück und nur in seinen Augen erkannte sie, dass er alt jenseits aller bekannten Möglichkeiten war.

"Meine Liebe", sprach er sanft. "Es ist erforderlich, dass du dich heilst." Da war keine weitere Regung.

Meandra stöhnte nur laut.

"Es ist in den Büchern ...", entgegnete er. "Es ist in dir. Denk nach, ignoriere den Schmerz, den Tod. Du musst Magie verstehen, wie sie ist, nicht wie sie beschrieben oder interpretiert wird. Magie ist nicht alles, es gibt wichtigere Dinge. Aber zuerst ... heile dich selbst. Alles was du dazu brauchst kennst du bereits."

Manrar erhob sich und ging davon, ohne erneut zurückzublicken. Und doch war er sich nicht klar, ob er es der Frau wirklich zumuten konnte. Doch da war dieses Selbstvertrauen. In all den Jahrzehnten war sie die einzige, die ihn mit ihrem Anliegen aufgesucht hatte. Und sie blieb ... beharrlich. Gegen alle Konsequenzen. Und niemand wusste es besser als er: Meandra war für die Magie geboren!

Manrar verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, bis es drei Tage später wieder heftig an die Pforten seines Turm klopfte. Und ein wissendes und glückliches Lächeln spiegelte sich auf seinem Gesicht und er begab sich selbst zur Türe, die von außen gar nicht als solche erkennbar war. Er ließ Meandra schweigend hinein und staunte insgeheim, dass sie sich so aufrecht halten konnte. Sie war ausgemergelt und dem Tode näher als dem Leben. Und doch hatte sie es bewerkstelligt, ihre Wunden zu heilen, dem erbarmungslosen Wetter zu trotzen.

Ohne ein Wort drehte er sich um und schritt vor ihr her bis zu dem Raum, den er als Studierzimmer nutzte. Er bot ihr einen leicht verschlissenen, aber sehr bequem anmutenden Sessel an, der sie sogleich mit angenehmer Wärme und Bequemlichkeit umfing, als sie sich drauf niederließ.

"Ich heiße euch willkommen, Magister Meandra", sagte der alte Erzmagier mit sonorer Stimme und ein Schmunzeln strich über sein Gesicht.

"Magister?", ächzte die junge Frau und sah sich dabei in dem opulent ausgestatteten Raum um.

"Natürlich", erwiderte Manrar. "Dass ihr hier sitzt und lebt ist der beste Beweis dafür, dass ihr eure Prüfung bestanden habt."

"Ach!" Sie winkte ab. "Es war in den Büchern."

Manrar stand langsam auf, ganz so als machte ihm das Alter zu schaffen, und ging zu einem weiteren kleinen Tisch, auf dem ein Stapel Bücher lag.

"Wenn du dich erholt hast, Meandra", sagte er mit leiser aber bestimmter Stimme, "dann wirst du mir beweisen müssen, welcher Heilzauber in diesen Büchern steht."

Meandra schlief ein und ruhte tief und traumlos.

***

Die Erzmagierin fuhr auf und sah sich für einen Augenblick irritiert um. Der Raum war ihr bekannt, aber es fehlte an etwas ... an jemandem. Und dann überkam sie wieder die Erkenntnis, dass diese Person, ihr Mentor, nie wieder zugegen sein würde.

Sie nahm einen kleinen Schluck von dem roten Wein und blickte das Portrait Manrars voller Sehnsucht an.

***

"Also?", fragte sie Manrar, ganz so als sei nicht mal eine Sekunde vergangen, obwohl es drei Tage und Nächte waren. "Was steht in den Büchern?"

"Magie ...", erwiderte sie, noch immer durch Müdigkeit geprägt. "Magie, die mich am Leben erhielt. Ich danke euch."

"Falsch, meine Liebe!"

"Was?"

"Im ersten Buch standen Grundlagen der Magie, wie ein Feuer zu entfachen ist. Die anderen Bücher befassen sich mit anderen Dingen. Grundlagen der Landwirtschaft, ein Kriminalroman ... anderes eben." Manrar lachte laut. "Du hast daraus gemacht, was du am meisten brauchtest. Das ist Magie! Und ganz und gar nicht stand darin, wie man Wunden und schwere Verletzungen behandelt. Die Magie war schon da, bevor ich dir das erste Buch gab. Lange vorher!"

"Ich ..."

"Nein!", konstatierte Manrar und hob abwehrend eine Hand. "Kein Wort mehr. Wir werden voneinander lernen und einander lehren. Ich habe nicht mehr viel Zeit, denn auch für einen Magier, der es versteht, die Zeit zu manipulieren, ist das Leben dennoch begrenzt. Du wirst lernen, dass dies gut ist und Sinn macht."

"Die anderen ..."

"Ja?"

"Werden die andern akzeptieren, dass eine Frau Magie beherrscht?"

"Werden sie die Frau überleben, die Magie beherrscht, wenn sie sie nicht akzeptieren?"

"Du meinst ..."

"Macht ergiebt sich aus der Möglichkeit sie auszuüben und es zu lassen. Wahre Macht ist die Freiheit der Entscheidung."

***

"Macht ..." Meandra holte tief Luft. Ein halbes Jahrhundert war vergangen, als sie Manrar zum ersten Mal begegnet war und doch war es ihr, als sei dies gestern geschehen. "Was nutzt mir Macht, wenn die, die ich liebe doch vergehen, bevor ich sie wirklich verstehe?"

Die Erzmagierin stand langsam auf und wanderte, mit dem Weinpokal in der Hand über den tiefflorigen Teppich und blieb vor einem Globus stehen, der die bekannte Welt darstellte.

Meandra holte tief Luft und stierte das Modell der Welt an.

"Ich könnte sie aus den Angeln heben ... alles beenden. Ich habe alles verstanden, das es zu verstehen gibt, Manrar."

"Dann trägst du nun die Verantwortung dafür", antwortete eine sanfte Stimme aus dem Hintergrund.

"Miko!" Meandra wirbelte herum und eilte auf ihren Sohn zu, der seinem Vater Andary so ähnlich sah, dass sie mitunter nicht wusste, ob es sie schmerzen oder sie freuen sollte. Das Glas mit dem kostbaren Wein warf sie in die Luft und schnippte beiläufig mit den Fingern und es verschwand, bevor es den Teppich erreichte. Sie umarmte ihren Sohn herzlich und er tat es ihr gleich. Beide schätzten die Nähe, die sie Monate zuletzt genossen hatten ausgiebig.

"Mutter", murmelte Miko, sprach dann aber deutlicher. "Der König hat eingelenkt, er wird keinen Krieg gegen Laghura führen. Was blieb ihm auch anderes übrig ..."

"Er hätte seine Magier schicken können ..." Meandra wirkte nachenklich.

"Und was", lachte er, "hätten sie gegen dich ausrichten können?"

Sie blinzelte, Tränen in den Augen.

"Ja ...", antwortet sie. "Aber ich bin nicht auf ewig hier ..."

© Thomas Klaus